(von Dieter Greipl, e-mail: dieter.greipl@mch20.sbs.de)
Start am 15. August, 14:00 in Garmisch.
1.Tag: Umhausen (Ötztal) | |||
2.Tag: St. Michael (Eppan) | |||
3.Tag: Vicenza | |||
4. Tag: Ravenna | |||
5. Tag: Florenz (teilweise) | |||
Summe |
Am 5. Tag sind wir einen Teil der Strecke mit dem Zug gefahren
Soweit es Zeit und Trainingszustand erlauben gehen wir (Dieter,
Jürgen und Karsten) jährlich auf "große Fahrt"
von München nach Italien. Nach München-Florenz (1993),
München-Rom (1994) und einer "Babypause" 1995 waren
wir in diesem Jahr wild entschlossen, zumindest München-Florenz
zu wiederholen. Es sollte schwierig werden: Karsten plante eine
mehrwöchigen Fernurlaub und war deshalb schon in der ersten
Jahreshälfte kaum zum Training zu bewegen. Schließlich
verweigerte er. Hauptproblem für Jürgen und mich war
dagegen einen geeigneten Reisetermin zu finden. Endlich starteten
wir am 15. August.
Nachdem ich erst gestern morgen aus Südamerika zurückkam
brechen wir erst am nachmittag auf. Das gibt mir Gelegenheit wenigstens
einmal lange zu schlafen. In aller Eile packe ich meinen Rucksack.
Nach zahlreichen gemeinsamen Touren hat sich eine unausgesprochene
Aufgabenteilung entwickelt. Jürgen ist für "Waschzeug",
ich für Ersatzteile verantwortlich. Ansonsten minimieren
wir unser Gewicht (zumindest das des Gepäcks). Die Etappen
über die Alpen und über den Apennin der vergangenen
Jahre haben uns das gelehrt...
Den langweiligen Ritt von München nach Garmisch sparen wir
uns und fahren mit dem Wagen dorthin. Um 14:00 sind die Rennräder
zusammengebaut, der Rucksack geschultert - die Schuhe klicken
in die Pedale. Wir starten Richtung Fernpaß. Regen. Etwas
verdrossen fahren wir hintereinander her, die Rücksäcke
mit einem Überzug gegen Nässe geschützt. Der rauschende
Inn direkt neben der Straße ist weit weniger romantisch
als in den sonnigen Etappen der letzten Jahre. Die Straße
steigt leicht an zum Fernpaß, den wir schon einige Male
"erfahren" haben. Wir haben ihn als "leicht"
in Erinnerung, etwas steiler nur kurz vor der Paßhöhe
. Trotzdem: wir sind nicht so gut vorbereitet wie vor zwei Jahren
und unsere ausgedehnteren Trainingstouren liegen einige Wochen
zurück. Ich horche in meine Beine, die Knie - kein Problem.
Ohne größere Anstrengung kurbeln wir hinauf. Auch der
Verkehr - sonst ein Übel - hält sich in Grenzen. Wir
verzichten auf unseren üblichen "Paßumtrunk"
und fahren sofort ab. Inzwischen regnet es nicht mehr. Über
Nassereith, Imst und Roppen geht's ins Ötztal. Morgen steht
das Timmelsjoch auf dem Programm und mit gebührendem Respekt
versuchen wir noch ein paar Kilometer zu machen. Um 18:00 gehen
wir in Umhausen auf Quartiersuche und finden auch schnell einen
anspruchslosen Gasthof. Wir sinds zufrieden: duschen, essen, schlafen.
Die kulinarische Dimension gewinnt erst morgen an Bedeutung -
in Italien.
Wir immer sind wir auch heute bemüht früh zu starten.
Es wird schließlich wieder nach 9:00 bis wir auf den Rädern
sitzen. Zwar zeigt sich die Sonne nicht, zumindest aber regnet
es nicht. Zuerst geht es ganz gemütlich hoch, aber einige
km nach Sölden wird es richtig steil. Mein Avocet Höhenmesser
zeigt erst 1480hm, ich bin müde und schwitze, kann keinen
vernünftigen Rhythmus finden. Zu wenig trainiert. Meine Wasserflasche
ist leer und ich fülle sie an einem Gasthaus nach. Abgestiegen.
Der Berg hat gewonnen. Jürgen ist besser in Form und fährt
relativ rund davon. Wir wissen beide, daß an Anstiegen dieses
Kalibers jeder seinen Rhythmus finden und dann treten muß.
Treffpunkt ist immer die Paßhöhe. Ich fahre allein
weiter und muß mich quälen. Wertvolle Höhenmeter
gehen auf einer Abfahrt wieder verloren. Die Bäume werden
spärlicher. Die karge Felslandschaft - bei Sonne ein Hochgenuß
- wirkt bei diesem düsteren Wetter befremdlich und abstoßend.
Die letzten km zum Gipfel verlaufen bis auf wenige Schlußkehren
nahezu gerade bergan. Keine Kehren nähren die Hoffnung auf
eine Flachstück. Es bleibt durchgängig steil. Erschöpft
erreiche ich schließlich 20 Minuten nach Jürgen die
Paßhöhe auf 2417m Höhe. Es ist empfindlich kalt
und wir beschließen erst in wärmere Gefilde abzufahren
und einen gemütlichen Gasthof zu suchen. Die Abfahrt nach
Italien ist mit dem Rad eigentlich verboten, aber die italienischen
Zöllner machen keine Anstalten uns aufzuhalten. Allerdings
gibt es auf der steilen Abfahrt einige nur spärlich beleuchtete
Tunnel, obendrein ist der Belag teilweise schlecht. Also Vorsicht.
Es wird spürbar wärmer und die Sonne scheint ihren Kampf
gegen die Wolken zu gewinnen. Nach wiederholtem Abwinken haben
wir "unseren" Gasthof gefunden. Wir wollen heute noch
nach St. Michael (Eppan) und brechen nach einer Stunde wieder
auf. Die Sonne scheint! Es beginnt eine rauschende Abfahrt - mehr
einem Absturz gleichend - nach St. Leonhard. Es ist inzwischen
so warm geworden, daß wir in kurzen Hosen und Trikots weiterfahren.
Trotzdem haben wir noch mindestens 60km vor uns, die allerdings
ohne Zwischenanstieg bis auf eine Höhe von ca. 300m führen.
Wir fahren Windschatten und erreichen gegen 18:30 St. Michael
(411m). Der Schlußanstieg dorthin zehrt nochmals an den
Kräften - aber dafür erwartet uns in unserem Gasthof
ein exzellente Küche. Wir essen, nein wir dinieren im Freien
und beenden den Tag mit einem Espresso mit Grappa.
Nach einem etwas kargen Frühstück im Wickenschloß
brechen wir in einen sonnigen, heißen Tag in Richtung Trient
auf. Zunächst geht es hinunter zum Kalterer See (214m). Das
Etschtal ist hier eingerahmt von grünen Gipfeln mit steilen
Felsabbrüchen. Eine bezaubernde Mischung zwischen weichem
Grün und schroffen Felswänden. Vorbei an Apfelhainen
fliegen wir nach Trient (192m). Im Stadtzentrum am Dom genehmigen
wir uns eine Cola und genießen die wunderbare Atmosphäre
dieses Platzes. Etwas ratlos sehen wir uns an, weil wir beide
trotz kultureller Ambitionen nichts über Geschichte der Stadt
und des Doms wissen. Wir nehmen uns vor, uns beim nächsten
Mal wenigstens etwas Lesestoff mitzunehmen. Meine Erkältung,
die sich schon gestern ankündigte, wurde inzwischen schlimmer
und ich besorge mir bei der zentralen Apotheke Nasentropfen und
Aspirin. Erst am Abend wird Jürgen zufällig lesen, daß
die Nasentropfen Effhedrin enthalten und mich heftig des Dopings
beschuldigen. Nach Trient beginnt es wieder anstrengend zu werden.
Wir verlassen die Stadt nach Südosten Richtung Vigolo-Vattaro
und Carbonare und werden sofort mit erwähnenswerten Steigungen
konfrontiert. Beim Anstieg geht es mir trotz meiner Erkältung
besser als gestern am Timmelsjoch. Trotzdem setzt uns der Frizza-Paß
(ca. 1100m) bei dieser Hitze zu. Die Abfahrt führt durch
bizarres Gebirge nach Arsiero. Aufdringlicher Gegenwind nimmt
uns viel Freude an der Abfahrt. Immer wieder müssen wir in
die Pedale steigen um eine vernünftige Geschwindigkeit zu
halten. Spät abends erreichen wir über Thiene Vicenza
(40m), wo wir dann rasch ein zentral gelegenes Hotel finden. Es
ist bereits dunkel als wir das Hotel verlassen und im nahen Stadtzentrum
erstklassig speisen.
Heute wird der längste Tag unserer Tour: ca. 180 km liegen vor uns. Bisher waren wir stets über Bologna nach Florenz gefahren. Eine Traumstrecke, die über den Futa und Raticosa Paß nach Florenz führt. Trotzdem nehmen wir uns für dieses Jahr eine andere Passage vor und wollen den Florenz von Ravenna aus erreichen. Die Etappe durch die Po-Ebene ist wenig attraktiv: viel Verkehr, jämmerlich flach und eine wenig reizvolle Landschaft nach der großartigen Alpenlandschaft der letzten Tage. Die wenigen Höhenmeter entstehen vor allem über die Brücken über Brenta, Po und Etsch.
Wir fahren über Padua nach Chioggia und dann südlich
Richtung Ravenna. Beim Kartenstudium hatten wir uns einige attraktive
Passagen entlang der Adria erwartet, doch wir sehen ab Chioggia
kein Salzwasser mehr. Bei zunehmender Hitze kurbeln wir bis zur
Pomposa-Abtei, die wir aus Helmut Kraussers Buch "Melodien"
in lebhafter Erinnerung haben. Vor uns liegen noch ca. 46 km.
Seit etwa einer Stunde spüre ich ein Ziehen im rechten Oberschenkel,
das ich zunächst nicht ernst nehme. Seit unserem Aufbruch
von der Abtei verschlimmert es sich mit jedem Kilometer - ich
kann das rechte Bein kaum mehr belasten. Gleichzeitig spielt Jürgens
Achillessehnen verrückt. Geschlagen und müde trudeln
wir spät am abend in Ravenna ein. Das Hotel hatten wir morgens
schon in Vicenca reservieren lassen, so daß die Quartiersuche
unproblematisch ist. Von Ravenna sind wir enttäuscht - erst
nach einer längeren Wanderung an zahlreichen Fast Food´s
vorbei läßt sich ein vernünftiges Ristorante finden.
Vor dem Schlafen gehen horchen wir nochmals in unsere Beine: die
morgige Apennin-Etappe gehört zu den Schönsten der Tour,
verlangt aber nochmals einiges an Kraft. Wir würden sie liebend
gern fahren...
Nach einigen leichten gymnastischen Übungen sind wir unsicher, ob wir in der Lage sind, die heutige Etappe zu bestehen. Schließlich entschließen wir uns loszufahren - was sich als Fehler herausstellt. Insbesondere Jürgen hängt jämmerlich am Rad. In Forli (nach 30km) machen wir der Quälerei ein Ende und steigen in den Zug nach Florenz, versorgt mit einer Flasche Weißwein und ein paar Panini. Es tut schon weh, die traumhaft geführte Straße sich in weichen Hügeln schlängeln zu sehen. Wir denken an den phantastischen Blick auf Florenz während des Fluges hinein in die Stadt der Medici, nachdem die letzte Steigung hinauf nach Pratolino genommen ist...
Nein, so nicht. Nun geht alles schnell. In Borgo S. Lorenzo verlassen wir den Zug und sind wieder auf den Rädern. Wir genießen den phantastischen Blick auf Florenz...
Wir nächtigen im Hotel Bruneleschi, die cuppola des duomo von der Dachterrasse aus zum Greifen nahe. Dann ein opulentes Abendessen am Piazza della Signoria - dort und nur dort, um die Farbkomposition des braunen Steines des Medici-Palastes gegen das blau-schwarz des toskanischen Abendhimmels zu genießen. Die Piazza leert sich langsam und wir feiern in irgendeiner Kellerdiskothek den Abschluß unserer Reise.