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Whisky, Dudelsack und Nessie - unterwegs in Schottland


By Hans Jürgen Stang HansJuergenStang@web.de, Thu, 22 Mar 2001 19:54:08 +0100 (CET)

Zugegeben, es war schon etwas überraschend statt der geplanten Schweden-Reise eine Radtour in Schottland zu unternehmen. Auch die Warnungen von Freunden und Bekannten bezüglich des dortigen schlechten Wetters erschreckten mich nicht.

Dafür ist der Schreck um so größer, als ich nach dem Flug von Frankfurt nach Edinburgh mein Rad am Flughafen in Empfang nehme. Das Hinterrad ist schwer demoliert - die Felge fast gebrochen! Nach diesem mißlungenen Start in das Radabenteuer Schottland erhalte ich dank eines freundlichen Fahrradgeschäftes in Edinburgh noch am gleichen Abend (Samstag!) ein Leihrad. Der Inhaber organisiert noch eine Bed&Breakfast-Übernachtung in einer ruhig gelegenen Seitenstraße und so kann ich den Schock des ersten Tages leichter verdauen.

Ich entscheide mich am nächsten Tag Edinburgh zu verlassen und als ich gerade neben einem Geschäft eine Essenspause mache, klopft mir ein freundlicher Schotte auf die Schulter und erklärt mir den Verlauf eines ruhigen Radweges entlang eines Kanals in Richtung Glasgow. Die Nacht verbringe ich im Strohlager eines halb verlassenen Bauernhofes. Nördlich von Glasgow verlasse ich den Kanalweg und fahre weiter zum Loch Lomond. „Loch“ heißt soviel wie „See“ und unzählige solcher „Löcher“ werden meinen Weg in Schottland von nun an begleiten.

Die Westküste, die ich beradle ist wildromantisch, mit gezackten Felsbuchten und Klippen und mit Moos und Heidekraut bedeckt. Je höher man Richtung Norden kommt, desto dünner wird die Besiedlung. Dafür sieht man überall Schafe, die mich als vorbeifahrenden Radler mit Interesse betrachten.

Die Landschaft ist von Bergen, Seen und Hochmooren bestimmt und das bedeutet für den Radler: alles andere als flach. Kurze, kräftige Steigungen sind die Regel. Doch ich gewöhne mich schnell daran und die Ausblicke, die sich bei diesen Berg- und Talfahrten ergeben, sind vielfach faszinierend.

Bei Balloch, in unmittelbarer Nähe des Loch Lomond, bekomme ich einen Platten und da es schon sehr spät ist, zelte ich in der Nähe des Sees, was später nicht mehr möglich sein wird, da fast alles als Weideland eingezäunt oder der Boden zu feucht oder felsig ist. Zwei schottische Mountainbiker kommen gerade vorbei als ich das Zelt aufschlage. Ich mache zum ersten Mal Bekanntschaft mit den schottischen Mücken, „midges“ genannt. Sie sind winzig klein und treten teilweise in Massen auf. Heute Abend hilft nur noch die Flucht ins Zelt.

Das Wetter ist bei weitem nicht so schlecht, wie man mir prophezeit hat. Auch wenn es später noch das ein oder andere Mal regnen sollte. Der Regen und die fantastischen Wolkengebilde gehören nun einmal zum Land wie die Sonne in Spanien. Wie sagt doch ein schottischer Spruch: „It hasn´t rained much between the showers ...“

Zum ersten Mal erlebe ich hier oben im Norden, wie lange die Abende sind. Unvergeßlich werden mir diese hellen Abende bleiben, an denen ich auf einsamen Straßen dahinradle - fast eins mit der Umgebung.

Luss am Loch Lomond ist mit seinen blumengeschmückten Häusern ein Anziehungspunkt für Touristen. Während ein Dudelsackspieler auf dem Steg am Meer spielt, unterhalte ich mich kurz mit zwei australischen Radlerinnen. Die Straße entlang des Sees ist vielbefahren, aber es gibt keine Ausweichmöglichkeit. Von Seitenabstand beim Überholen von Radfahrern halten die Briten offensichtlich nicht viel. Die Krönung vollbringt jedoch der Fahrer eines (deutschen!) Reisebusses, als er nur zentimeterbreit an mir vorbeifährt.


Kurz vor dem „Rest and be Thankful-Paß“ wird der Verkehr dünner und jetzt muß ich alle meine Kräfte aufbieten, um hochzufahren. Warum dieser Paß so heißt („Ruhen und dankbar sein“) merk e ich, als der Anstieg kein Ende zu nehmen scheint. Meine Dankbarkeit kennt wirklich keine Grenzen als ich die Paßhöhe erreiche und mich anschließend vom Aufstieg erhole. Auf dem Weg nach Inveraray gibt es noch eine kostenlose Dusche vom Himmel, doch im Ort selbst scheint die Sonne. Neben einem Kinderspielplatz schlage ich mein Zelt auf und bin gleich von spielenden Kindern umringt. Aus den Fenstern der umliegenden Häuser erkenne ich besorgte Blicke der Eltern. Ich bin gespannt, ob ich nicht bald von hier vertrieben werde. Doch nichts geschieht und gegen Abend verlassen die letzten neugierigen Kinder den Platz, während ich den Gaskocher anwerfe.

Der nächste Morgen verspricht nichts Gutes - der Regen prasselt auf mein Zelt. In voller Regenmontur baue ich das Zelt ab und nachdem es weiterregnet fahre ich schließlich doch los. Entlang des Glen Aray (Glen = Tal, Schlucht) fahre ich, stetig bergauf radelnd in Richtung Loch Awe. Bei strömendem Regen platzt bei meinem Hinterrad der Schlauch und zum Glück bringe ich das beladene Rad sicher zum Stehen. Nur mit viel Mühe gelingt es mir, den Schaden zu beheben - ein vorbeikommender Radler läßt mich im wahrsten Sinne des Wortes „im Regen stehen“. Über den Brander-Paß und vorbei am Fearnoch Forest erreiche ich völlig durchnäßt die Stadt Oban.

Oban ist Ausgangspunkt für Fahrten zu verschiedenen Inseln der Äußeren und Inneren Hebriden. Heute ziehe ich einen trockenen Schlafplatz vor und so quartiere ich mich in der Jugendherberge des Ortes ein. So kann ich die nassen Sachen und das Zelt trocknen und habe noch dazu einen wunderschönen Blick vom Zimmer aus aufs Meer - inzwischen scheint sogar wieder die Sonne!



Durch abwechslungsreiche Landschaft geht es am nächsten Tag bis Fort William. Hier in den Grampian Mountains liegt auch der höchste Berg der Britischen Inseln, der Ben Nevis mit 1343 Metern. Ich erhalte gerade noch einen Platz in der Jugendherberge am Fuße des Ben Nevis. Ich entscheide mich am nächsten Tag, die Insel Skye als nördlichstes Ziel meiner Schottland-Reise anzupeilen.

Am Loch Eil geht es zunächst bis Glenfinnan am Loch Shiel. Ein Denkmal bezeichnet die Stelle, von der aus Prinz Charles Edward Stuart am 19. August 1745 das Königsbanner entrollte und zur Wiedereroberung der schottischen Krone auszog. Hier im schottischen Hochland fahre ich oft auf sogenannten Single Track Roads“, das sind schmale Straßen mit Ausweichstellen, den„Passing Places“. Wer einer seitlichen Ausbuchtung in der Straße am nächsten ist, weicht bei Gegenverkehr aus - nach Art des „gentleman“ - ein Gebot der Höflichkeit.

Durch eine immergrüne Landschaft schlängelt sich die Straße in Richtung

Mallaig. Zwischendurch säumen meterhohe Rhododendronbüsche die Straße, die immer schmaler wird. Ein heftiger Schauer erwischt mich gerade noch, bevor ich das Fährschiff von Mallaig nach Armadale auf der Insel Skye erreiche. Zwei deutsche Motorradfahrer auf dem Schiff wundern sich, warum ich denn so naß bin ...

Die Jugendherberge in der Armadale Bay liegt idyllisch in einer Bucht. Regen und Sturm am Abend rauben der Idylle jedoch ihren Mythos. Am nächsten Morgen regnet es immer noch, als ich mich in der Jugendherberge herumrücke und auf Wetterbesserung hoffe. Ein älterer englischer Radfahrer klärt mich bei seiner Abfahrt über die Wetterlage auf. „The weather is better than it looks“ gibt er mir mit auf den Weg. Also - das Wetter ist besser als es aussieht.



Als ich schließlich doch bei Regen losfahre kann ich diesen Worten noch keinen Glauben schenken. Doch schon eine halbe Stunde später hört der Regen auf und kein weiterer Tropfen fällt an diesem Tag mehr. Ich kann es kaum fassen, um so freudiger genieße ich das Panorama der Insel Skye: eine weite Moor- und Heidelandschaft mit schönen Ausblicken auf Buchten und das gegenüberliegende schottische Festland. Die Straße bis Broadford ist eine einzige „Single Track Road“. In meinen Gedanken kehrt immer mehr Ruhe ein - der Rhythmus des Radfahrens wirkt sich aus. Ich entscheide mich, auf der Insel Raasay eine Radelpause einzulegen, denn am morgigen Sonntag verkehrt keine Fähre. Mit der heutigen Fähre erreiche ich nach kurzer Überfahrt die Insel, wo ich nach langer Steigung (schieben!) am späten Nachmittag die urige Jugendherberge erreiche.

Es sind nur zwei Biologen in der Jugendherberge, also ideal zum Ausspannen.

Der Sonnenuntergang an diesem Abend wird mir unvergeßlich bleiben.

Am nächsten Tag erkunde ich zu Fuß einen Teil der Insel, auf der deutsche

Zwangsarbeiter im 2. Weltkrieg in Eisenminen schuften mußten. Nach der Besteigung der höchsten Erhebung auf der Insel, dem Dun Caan (444 m) komme ich an den Ruinen der verlassenen Siedlung Hallaig vorbei. Überhaupt leben nur noch rund 200 Menschen auf dieser Insel. Am Montag fahre ich mit der Fähre wieder auf die Insel Skye zurück, wo ich meine Inselrundfahrt per Rad fortsetze. Bizarre Felsbastionen formen das Massiv des Storr nördlich von Portree. In dem zerrissenen Felsgetümmel trotzt der Old Man of Storr, ein 50 Meter hoher Felsturm aus Basalt den Stürmen und Regenschauern.

Weiter nördlich stürzt südlich der Staffin Bay die Felswand des Kilt Rock mit senkrecht und waagrecht verlaufenden Gesteinsformationen zum Meer ab. Auf der Fahrt von Staffin quer über die Insel bis Uig fühlt man sich eher wie in Amerika (Felsformationen wie im Westen der USA). Mittlerweile merke ich, wie mir die Zeit davonläuft und so muß ich die Insel Skye bald verlassen. Über Kyleakin und die Spannbrücke beim Kyle of Lochalsh fahre ich nach Plockton, einem schönen Örtchen direkt am Meer. Auf der Fahrt entlang des Loch Carron und des Glen Carron gibt es kaum noch Ortschaften, geschweige denn Einkaufsmöglichkeiten. Dafür kann ich in der Nähe eines ausgetrockneten Flußlaufes mein Zelt aufschlagen. Davon bekommen offensichtlich wieder die „midges“ Wind und so steht das Zelt in neuer Rekordzeit. Ich genieße die Ruhe und Einsamkeit, bevor ich am nächsten Tag in Richtung Inverness weiterfahre. Unterwegs regnet es immer wieder, das heißt Regen-hosen an/aus oder unterstellen/weiterfahren. Die vielen Regenschauer bestimmen heute den Fahrrhythmus. In Inverness muß ich länger bleiben als vorgesehen, da ich erst 2 Tage später einen Platz für mein Fahrrad, besser gesagt mein Leihrad, im Zug nach Edinburgh bekomme. Inverness liegt am River Ness und ist Ausgangspunkt für Fahrten ins Hochland. Am nächsten Tag unternehme ich eine Fahrt ohne Gepäck - ein ungewöhnliches Fahrgefühl - zum berühmten Loch Ness. Mit 38 Km ist Loch Ness der größte See Schottlands und mit einer Tiefe von 800 Metern einer der tiefsten Gewässer Europas. Entlang der Uferstraße spähe ich über die weite, von sanften Bergen eingerahmte Wasserfläche. Doch still ruht der See. Keine Spur von Nessie dem Ungeheuer. Wer wissen will, wie es aussieht - die offizielle Loch Ness Monster-Ausstellung am See gibt Auskunft. Malerisch am See liegt auch die Ruine von Urquhart Castle.

Die Black Isle nördlich von Inverness ist Ziel einer weiteren Rundfahrt von Inverness aus. Die Black Isle ist weder eine Insel, noch ist sie schwarz. Von drei Seiten von den Meeresarmen Cromarty, Moray und Beauly Firth umgeben, bleibt die Halbinsel zum Süden hin mit dem Festland verbunden.

Auf der Fahrt passiere ich auch Fortrose, eine Stadt, die zu Recht auch Gartenstadt am Meer“ genannt wird. Über Munlochy und Kessock geht es über die Kessock-Brücke nach Inverness zurück. Ich traue meinen Augen nicht, als ich von der Brück aus mit der zurückkehrenden Flut mehrere Delphine auf Nahrungssuche sehe! Einen schöneren Tagesabschluß kann man sich kaum wünschen. Nun wird es Zeit Inverness zu verlassen und ich fahre mit dem Zug nach Edinburgh, dem Ausgangspunkt meiner Reise, zurück. Bevor ich das Leihrad zurückgebe, mein defektes Rad in Empfang nehme und mich auf den Heimflug mache, schaue ich mir noch in Ruhe die Stadt an. Schottlands Hauptstadt ist ohne Zweifel eine der schönsten Städte Großbritanniens. Viele alte Häuser und architektonische Sehenswürdigkeiten, die berühmte Royal Mile sowie schöne Parks und Gärten geben der Stadt ein besonderes Gepräge.

Schön auch die Aussicht vom Edinburgh Castle über die Dächer der Stadt.

Mit Regen auf der Fahrt zum Flughafen geht am Tag darauf ein erlebnisreicher Radurlaub dem Ende entgegen.

Aber wie hieß es doch: „The weather is better than it looks ...“

In diesem Sinne allzeit gutes Radelwetter wünscht